Judit Kováts
Heimatlos
ERSCHEINT im September 2020
430 Seiten, 130x204
Gebunden mit Schutzumschlag
ISBN 978-9503906-7-4
€ 23.-
Erhältlich im gutsortierten Buchhandel
Aus dem Ungarischen Eva Zador
Judit Kováts ist Schriftstellerin und Lektorin, ursprünglich Historikerin und Archivarin. Judit Kováts hat zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten – Bände, Aufsätze, Fachartikel – zum 19. Jahrhundert und innerhalb dessen zum Reformzeitalter verfasst. Darüber hinaus publizierte sie Erzählungen und Novellen in diversen ungarischen Literaturzeitschriften und auf literarischen Portalen.
Als eine engagierte Verfechterin der oral history machte sie lange Jahre Interviews mit alten Menschen zu deren Lebenswegen, die als lebendige Augenzeugen vom Krieg, der kommunistischen Diktatur, den Aussiedlungen, Zwangsarbeitslagern und der Entrechtung und Verfolgung von Minderheiten berichteten. Es ist also kein Zufall, dass sie in ihren Romanen die wenig bekannten historischen Traumata des 20. Jahrhunderts aufarbeitet, wie etwa das Schicksal ungarischer Frauen an der Front und unter russischer Besetzung (Megtagadva, 2012) oder aber die Geschichte der unter der Kollektivschuld leidenden ungarischen und deutschen Minderheit nach dem Zweiten Weltkrieg (Elszakítva, 2015 und Hazátlanok, 2019).
Judit Kováts hält es für wichtig, der Vergangenheit ins Auge zu blicken und sie mit ihrer Widersprüchlichkeit zu akzeptieren, zu verstehen, dass neben Heldentaten, Mut und Standhaftigkeit auch Verbrechen, Feigheit und Verrat existierten. Die Figuren ihrer Romane sind keine Helden und keine Märtyrer, es sind die kleinen Leute, die der Strom der Geschichte, zu deren Teil sie werden, unfreiwillig mit sich reißt. Die große Frage ist – wenn auch nicht immer explizit ausgesprochen – in allen drei Romanen: Hat der Mensch in einer Welt, die aus den Angeln gehoben wurde, eine Wahl?
Der Roman Heimatlos ist die Schilderung der Schülerin Lili aus dem slowakischen Kesmark/Kežmarok, die am Ende des Zweiten Weltkriegs von den Ereignissen der Geschichte mitgerissen wird. Aufgrund ihrer deutschen Nationalität muss sie zunächst vor den Partisanen fliehen, wird dann gemeinsam mit der Mutter und der schwangeren Schwester sowie den übrigen Schicksalsgefährten vertrieben, in einem Lager interniert und später nach Bayern deportiert, das damals noch in Trümmern liegt, denn die neue Tschechoslowakei duldet allein Tschechen und Slowaken. Lilis Vater ist im Gefängnis, ihr Schwager irgendwo in Kriegsgefangenschaft, sie aber kämpft in einstigen Konzentrationslagern gegen Hunger und Krankheiten an und wird Zeugin von Massakern, die aus Rache verübt werden. Ausgeliefert und Heimatlos erlebt sie die ersten Jahre des Friedens, behauptet sich aber dennoch, selbst wenn sie Schicksalsschläge ereilen, von denen auch nur einer für ein Leben genügen würde. Bei alldem lassen sie Humor und Lebenslust nicht im Stich: Ihre Haltung zum Schicksal kann für uns alle richtungsweisend sein.
Leseprobe
Wieder wurden die Pro-Kopf-Rationen reduziert. Die in der Kategorie fünf dürfen 1250 Kalorien am Tag essen. Die Flüchtlinge gehören in die Kategorie fünf. Sie sind die Letzten in der Reihe. 50 Gramm Zucker, 200 Gramm Schmalz, 400 Gramm Fleisch, 3 Liter fettarme, entrahmte Milch: für einen ganzen Monat. Auf das Brot streiche ich einen Hauch Schmalz, streue Zwiebelringe darauf und lege es auf die Ofenplatte, scharfe Zwiebeln, rußiges Brot, nur nicht so gierig!, Mama warnt mich, ich glaube, für mich wären sogar zehnmal 1250 Kalorien zu wenig, um nicht hungrig zu bleiben.
Der Hunger ist der größte Herr, größer noch als die Amerikaner. Es gibt kein Fest, keinen Sonntag, ständig sind wir auf der Jagd nach Lebensmitteln, nur wird es eben immer schwerer, etwas zu essen zu besorgen, die Entfernungen werden immer größer. Zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit dem Zug, die ganze Welt ist unterwegs. Ich habe kein Fahrrad und setze mich nicht in den Zug, denn wir haben nichts, womit ich mich auf den Weg machen könnte, nichts, was sich in irgendeinem Dorf zum Beispiel gegen eine Gans oder Speck eintauschen ließe, also gehe ich zu Fuß und organisiere so etwas. Meist mit Anni und den anderen, manchmal auch allein. Unser Jagdrevier ist jetzt eben der Wald. Es hat viel geregnet, daher gibt es Unmengen von Pilzen; Reizker, von orangerot bis purpurfarben, gelbe Pfifferlinge mit gekräuseltem Rand, aufgeblasene weiße Boviste, das ist jetzt das große Pilzjahr, Tag für Tag, Woche für Woche nichts anderes, immer nur Pilze – Pilzsuppe, gebratene Pilze, mit Pilzen gefüllte Kartoffeln –, wir essen sie linksherum und rechtsherum, manchmal nur so, ohne alles, sie ersetzen das Fleisch, die Nudeln, das Brot, Mama kann sie wirklich gut zubereiten, das Problem ist nur, dass mir schon bei ihrem Anblick übel wird, sie kommen mir zu den Ohren heraus. Für ein Stück Schinken oder einen Laib Brot mit knusprig brauner Kruste und weicher Krume würde ich sämtliche Pilze aller Wälder Blumenstadts hergeben, selbst die, die im nächsten Jahr und in aller Zukunft wachsen werden! Das Brot fehlt mir mehr als alles andere. Später einmal werde ich zu allem Brot essen, auch zur Fleischbrühe und zu den Mohnnudeln! Und sonntags Spanische Windtorte, so eine, wie sie in Kesmark in der Konditorei Prandl gebacken wurde. Wenn sie die Spanische Windtorte hier nicht kennen sollten, dann backen Mama und ich eine, Zucker, Eier, Esskastanien, Mama kennt das Rezept bestimmt auswendig. Aber woher sollten wir Zucker, Eier und Esskastanien haben, sind wir doch in einer Leprakolonie, in einem Schweinestall von riesigem Ausmaß, umgeben von lauter Müllbergen. Niemand schert sich um sie, sie wachsen nur und gammeln vor sich hin, Millionen von winzigen Fliegen und in Regenbogenfarben schillernden Schmeißfliegenscharen summen um sie herum, der Gestank durchdringt selbst den entlegensten Winkel des Lagers, nicht einmal der Wirbelwind vermag ihn hinauszufegen.
Es wurde ein Gesetz verabschiedet, dass wir ebenso Deutsche sind wie die hier Geborenen, aber ein Gesetz ist nicht mehr als Buchstaben, mit der Niederschrift und Verkündung hat sich nichts geändert. Vom Lager aus gehen wir los, um etwas zu organisieren, um zu tauschen, auf Sammeltour, und hierher kommen wir nach Hause zurück. Das Lager ist das Zuhause. Barackendorf, Bretterheim, wie die Hiesigen es verspotten. Es gibt keine Wachtürme, keine bewaffneten Patrouillen, aber es ist, als lebten wir in einem Ghetto! Das Lager trennt. Sie und wir, die alten und die neuen Bürger. Wir interessieren sie nicht, sie fragen nicht, woher wir gekommen sind und warum wir fortgehen mussten. Wir sind für sie eine Strafe für den verlorenen Krieg, eine furchterregende Gefahr, Wildschweine, Kartoffelkäfer, Flüchtlinge: drei Heimsuchungen, wir stehen mit den Wildschweinen und den Kartoffelkäfern auf einer Stufe!
Bayern war ein blühendes Land, bis wir gekommen sind, das sagt die Lehrerin in der Schule, und Hansi kommt blutig zerkratzt nach Hause. Flüchtling und Lagerkind, die Kinder singen Spottlieder, Hansi beschimpft die Spottenden als Nazis, Faustschläge, Tritte, Ohrfeigen hin und zurück, seine Mutter verbietet ihm, die anderen Nazis zu nennen, und droht Hansi Prügel an, soll er sich doch ruhig verteidigen, Herr und Frau Berger geraten heftig in Streit.
Mama betet, ich höre, wie sie abends im Dunkeln murmelt, und sie geht neuerdings auch in die Kirche, in die Sankt-Nikolaus-Kirche, aber das ist doch eine katholische Kirche!, sage ich zu ihr, auch dann ist es das Haus des Herrn, antwortet sie und fordert mich auf mitzugehen. Ich bringe das Kind nicht in diese Kälte, es wird sich noch erkälten, und ich gehe nicht unter Leute, die gegen uns beten! Herrgott schick das Gesindel heim!, so beten sie. Ich habe es auf einem Flugblatt gesehen. Plakate und Flugblätter, so wie in Olmütz und zu Hause, in Kesmark, als die Tschechen und Slowaken gegen uns hetzten.
Wir sprechen, denken und träumen Deutsch, aber es reicht, wenn wir den Mund aufmachen, und es reicht, wenn sie uns ansehen, sie wissen, wir gehören nicht zu ihnen. Ein Volk, ein Reich, ein Führer: Das war die Losung '38, jetzt sind wir Hitlers Gäste, Deutsche mit Rucksäcken, dahergelaufene Zigeuner, nur schnell die Türen und Tore zu, die Zigeuner klauen doch alle! Bayern gehört den Bayern! Sie demonstrieren sogar schon, am Ostermontag demonstrieren sie gegen uns. Christus ist auferstanden!, so grüßte Großmutter an Ostern, ja, er ist wahrhaft auferstanden, antworteten wir, Großmutter ist zu Staub geworden, die Auferstehung verspätet sich, aber es kann auch sein, dass sie ganz ausfällt.
Zsuzsa Selyem
Regen in Moskau
170 Seiten, 130x204
Gebunden mit Schutzumschlag
ISBN 978-3-9503906-6-7
Aus dem Ungarischen von Eva Zador
€ 19.-
Erhältlich im gutsortierten Buchhandel
Leseprobe
Zsuzsa Selyem
Regen in Moskau
Am Morgen des Kalten Krieges veröffentlichte das
Nachrichtenmagazin Time auf dem Titelblatt seiner Ausgabe
vom 20. September 1948 das Porträt von Ana Pauker.
Damals galt sie als eine der einflussreichsten Frauen. Der
Titel des Artikels lautete: „Das Mädchen, das Windbeutel
hasste“. Es ging nicht darum, wie es war, in Bukarest so
aufzuwachsen, dass die Gesetze ihr nicht erlaubten, die
Schule zu besuchen, wie es war, zur Zeit des Pogroms Juden
zu retten, Ziel war es, dass vor dem werten Leser und
Windbeutel-Liebhaber ein Ungeheuer erschien.
Die kleinere Tochter Beczásys, die meist hungerte, so
sehr, dass sie Brot aus dem Laden stehlen musste, erhielt
zu jedem Monatsanfang per Post etwas Geld aus der Dobrudscha
und damit ging sie geradewegs in die Konditorei
und bestellte sich drei Bomben. Bunte, sahnige, fürchterlich
süße Gebäckstücke. Das verlassene Mädchen kämpfte
gegen den Brechreiz, doch einmal im Monat stopfte sie
das alles in sich hinein. Das kann ich natürlich hier, in
der Kälte der Dobrudscha, in der Gesellschaft von Beczásy
und Zina eigentlich nicht wissen, doch mich hindert
nichts daran, diese Gebäckstücke, die sich Tányicska einmal
im Monat konsequent befahl zu verspeisen, das Gerät,
Kleiner Junge und Dicker Mann zu nennen.
Es gab da diesen Witz, dass jemand beim Radio EriwanKönnen Sie mir bitte
sagen, warum Ana Pauker mit
dem Regenschirm durch die Bukarester Straßen läuft, wo
doch die Sonne scheint?
Aber sicher: Weil es in Moskau regnet.
Regen im Kongo, Regen in Monrovia, Regen in Bagdad,
Regen in Falludscha, Regen in Jerusalem, Regen in
Guinea-Bissau.
Auch mich rettete die bombige Schönheit ein paar Jahre
später, in Rom. Ich war eine ausgesetzte kleine Katze,
zitterte dort allein in der dunklen Straße, als sie tänzelnd
mit ihrem blonden Haar in dem Kleid mit Schleppe dort
entlangkam, mich auf ihren Kopf setzte und lachte. Dann
erblickte sie den Trevi-Brunnen, today it’s raining in paradise,
setzte mich auf die Erde, ich aber maunzte vergeblich,
sie watete ins Wasser hinein, blickte sich nicht
einmal um.
-- Titel des Artikels lautete: „Das Mädchen, das Windbeutel
hasste“. Es ging nicht darum, wie es war, in Bukarest so
aufzuwachsen, dass die Gesetze ihr nicht erlaubten, die
Schule zu besuchen, wie es war, zur Zeit des Pogroms Juden
zu retten, Ziel war es, dass vor dem werten Leser und
Windbeutel-Liebhaber ein Ungeheuer erschien.
Die kleinere Tochter Beczásys, die meist hungerte, so
sehr, dass sie Brot aus dem Laden stehlen musste, erhielt
zu jedem Monatsanfang per Post etwas Geld aus der Dobrudscha
und damit ging sie geradewegs in die Konditorei
und bestellte sich drei Bomben. Bunte, sahnige, fürchterlich
süße Gebäckstücke. Das verlassene Mädchen kämpfte
gegen den Brechreiz, doch einmal im Monat stopfte sie
Krisztina Tóth
Die brennende Braut
Aus dem Ungarischen von György Buda
296 Seiten
ISBN 978-3950390643
€ 21.-
Erhältlich im gutsortierten Buchhandel
Schicksalshafte Momente, verlorene Chancen, groteske Lebenssituationen - 40 neue Novellen; Übersetzung von György Buda
Krisztina Tóth, geboren 1967, publiziert seit 1989, zuerst Gedichte und seit 2006 auch Prosabände. Sie war Bildhauerin, lehrt Kreatives Schreiben und übersetzt franzözische Poesie ins Ungarische.
Beim Nischen Verlag: Pixel, 2013, Aquarium, 2015. Für Aquarium war die Autorin gemeinsam mit ihrem Übersetzer György Buda für den Internationalen Literaturpreis Berlin nominiert.
Krisztina Tóth - Die brennende Braut
Was sucht eine Leiche in einer Ausstellung? Wohin fahren die Gastarbeiter aus Siebenbürgen in ihrem Kleinbus? Was geschah mit der Frau, der der Kopf in einem Supermarkt plötzlich heruntergefallen war?
Die Erzählungen Krisztina Tóths sind Momentaufnahmen, Spiegelscherben aus dem Ungarn der vergangenen Jahrzehnte. Die Lebenslügen hin und her geworfener kleiner Leute und ihre täglichen Übungen im Überleben. Ausgelieferte Jugendliche und Kinder, Obdachlose und Arme, sich abplagende Mittelschicht und lebensüberdrüssige Celebs. Scheinbar uns allen bekannte, banale Situationen, in denen die Akteure zwar an verschiedenen Orten leben, ihre Möglichkeiten und Wünsche weichen stark voneinander ab, eines aber haben sie gemein: Sie stehen vor Augenblicken der Schicksalswende. Beinahe alle aber schieben die Entscheidung hinaus.
Die unbeteiligt wirkende Erzählerin beobachtet diese Vorgänge aber leidenschaftlich und überaus empfindsam, als lese sie die Welt mit ihren eigenen Wunden. Sie schildert das vielfältige zwischenmenschliche Beziehungsgeflecht und während sie von schweren Schicksalen und zuweilen grotesken Szenen erzählt, blitzt überraschend ihr sublimer und sarkastischer Humor auf.
Leseprobe
Die unbeteiligt wirkende Erzählerin beobachtet diese Vorgänge aber leidenschaftlich und überaus empfindsam, als lese sie die Welt mit ihren eigenen Wunden. Sie schildert das vielfältige zwischenmenschliche Beziehungsgeflecht und während sie von schweren Schicksalen und zuweilen grotesken Szenen erzählt, blitzt überraschend ihr sublimer und sarkastischer Humor auf.
Die junge Frau hatte schon seit anderthalb Stunden mit der Tasche in der Tür gewartet, als der Mann endlich eintraf. Er entschuldigte sich, weil er weder angerufen noch eine SMS geschickt hatte, seine Frau sei ihm bis zuletzt nicht von der Seite gewichen, sogar die Holzkohle im Papiersack hätten sie gemeinsam im „Praktiker“ gekauft. Er habe sie kaum davon abbringen können, ihn zu begleiten, die Kinder seien nämlich bis Montag bei der Oma.
„Holzkohle?“, fragte die Frau schon im Stiegenhaus.
Der Mann erklärte, die Holzkohle sei notwendig gewesen, weil er zu Hause vorgelogen habe, bei einem Kollegen im Gartenviertel zu einer Gartenparty eingeladen zu sein. Daraufhin hätte seine Frau beinahe begonnen, Kartoffelsalat mit Mayonnaise zu machen, ihre Spezialität, bis er in seiner Qual vorbrachte, ach, nein, das sei wirklich nicht notwendig, er habe lediglich versprochen, Holzkohle zum Grillen beizusteuern.
Sie warfen die Tasche der jungen Frau in den Kofferraum, da lag tatsächlich der große Papiersack.
Es war nicht leicht, aus der Innenstadt hinauszukommen, aber danach ging alles glatt. Während der Fahrt begrapschte der Mann den Oberschenkel der jungen Frau und sie sinnierte, wann sie zuletzt Kartoffelsalat mit Mayonnaise gegessen habe. Lange her. Er ist voller Kalorien.
Ihr Blick hatte sich gerade im Nichts verloren, auf der Straße, als der Mann plötzlich unverhofft das Lenkrad herumriss und neben dem Jägerzaun eines Gastgartens anhielt. Er ließ das Fenster herunter, während er mit der Rechten die Kurzwahltaste an seinem Telefon betätigte. Er blickte sie an und hob den Zeigefinger zum Mund, um anzudeuten, sie möge jetzt brav still sein.
Im Gastgarten versammelte sich gerade eine größere Gesellschaft. Männer und Frauen um die vierzig rangierten mit den Eisenstühlen, schlugen einander auf den Rücken und lärmten. Vielleicht war das ein Maturatreffen.
„Ich bin eben angekommen, aber ich muss schnell wieder aufhören, weil wir die Tische umstellen“, sagte der Mann ins Telefon.
Dann legte er tatsächlich auf, schaltete den Blinker ein und kurvte mit einem ebenso schnellen Manöver wieder auf die Straße zurück. Sie fuhren weiter. Nach einigen Minuten Stille sagte er:
„tschuldige, ich dachte nur, die würden ein gutes Hintergrundgeräusch liefern. Es wäre schade gewesen, das zu verpassen.“
Nach einigen weiteren Minuten des Schweigens sagte die junge Frau:
„Wusstest du schon, dass die Japaner bereits Telefone mit integriertem Hintergrundgeräusch herstellen? Autobahn, Meeresrauschen, Kindergeschrei, so was.“
Der Mann wusste das nicht, er schüttelte nur den Kopf und blinzelte in den Rückspiegel, er überholte. Sie schwiegen wieder, bis zur Pension.
Tibor Noé Kiss
Stumme Wiesen
Aus dem Ungarischen von Eva Zador
180 Seiten
ISBN 978-3950390650
€ 19.-
Erhältlich im gutsortierten Buchhandel
Die nicht auf der Landkarte sind. Ein scharfer, unbarmherziger, ironischer Roman;
Übersetzung von Eva Zador
Tibor Noé Kiss (1976) ist Schriftstellerin, Journalistin, Redakteurin bei einer Literaturzeitschrift und lebt in Pécs. Nach dem Studium der Soziologie absolvierte sie eine Journalistenschule. Sie organisierte unter anderem kulturelle Veranstaltungsreihen, führte Meinungsumfragen durch, jobbte als Zeitungsausträgerin und Fußballtrainerin für Jugendliche aus sozial schwachen Familien. Ihr erster Roman Inkognito, ihr Bekenntnis zu ihrer Transsexualität, erschien 2010. Stumme Wiesen ist ihr zweiter Roman.
Tibor Noé Kiss - Stumme Wiesen
Der Roman Stumme Wiesen von Tibor Noé Kiss ist keine leichte Lektüre.
Beschrieben wird eine reglose, düstere Welt ohne jegliche Aussicht oder Hoffnung, der Alltag einer Siedlung in der ungarischen Tiefebene, wo die Bewohner, die Gestalten des verlassenen Schlosses, der schäbigen Häuser, des Ladens und des einstigen Altersheims, nur deshalb bleiben, weil sie dort geboren wurden und keine Perspektive haben. Die Autorin nähert sich den Menschen, den Verlassenen und Ausgestoßenen, mit einem hohen Maß an Sensibilität, sie schafft starke Charaktere, die uns die Tragödie ihres verpfuschten Lebens verstehen lassen. Der fast soziografische Roman von einer Atmosphäre, die einem die Luft zum Atmen nimmt, ist ein Roman der Erkenntnis. Beim Lesen stellt sich uns die Frage, warum wir meinen, anders oder besser als die Figuren des Romans zu leben.
Ein Buch, das den Leser nicht zur Ruhe kommen lässt.
Leseprobe
Die unter den Bäumen faulenden, aneinander klebenden Blätter flehten nach einem Orkan, vielleicht würde er sie endlich voneinander losreißen. Der Wind wirbelte, fächelte, streichelte, weiter, ganz nach seiner Laune. Die Blätter stiegen auf in die Luft. Alles begann von vorn.
Streunende Hunde schnüffelten im Staub. Sie wedelten mit den Schwänzen, gingen aufeinander los, winselten, rauften. Aber sie fanden nichts. Sie rannten zum Wasserturm, dann wieder zurück. Legten sich neben den Stall. Zu den Fliegen, in die Urinlachen. Der Güllegeruch zog sie an, sie warteten auf die Rinder, vielleicht würden sie einmal zurückkommen. Die Ställe standen leer. Der Schimmel überwucherte sie, die Stützbalken waren von Holzwürmern zerfressen. Zerfielen allmählich zu Staub, bis sie einmal nicht mehr wären. Auf der Koppel stapften die Pferde, Graurinder spitzten die Ohren. Die Hunde rannten neben der Koppel auf und ab, kläfften. Nicht einmal zufällig berührten sie den Zaun. Sie hatten ihre Lektion gelernt. Auch die Katzen trauten sich nicht aus den Gärten. Wenn es ihnen gelang, vor den Hunden zu fliehen, dann erhängten sie die Kinder an den Bäumen.
Der Hof des verlassenen Hauses liegt im Dämmerlicht. Der Keller des Hauses ist stickig. Die Kanten der Stufen bröckeln. Dort, wohin sie führen, gibt es kein Licht. Eine zusammengefaltete Bettdecke. Unter der Decke kratzt eine Maus. Der Spiegel ist voller Fingerabdrücke. Fünf kleine Fingerkuppen. Der runde Abdruck des Lippenstiftes auf dem Kunststoffregal. Um ihn herum Staub. Aus Zellophan zusammengeknüllte Kügelchen. Zerrissenes Schokoladenpapier. Ein Plüschtier, ein gepunktetes Hündchen. An der Schulter hängen die Innereien heraus, watteartiger, weißer Kunststoff. Ein rosa Höschen auf dem Boden. Auf dem Höschen schlafen Bären, Hasen und Rehe. Das Höschen ist aus dem Rucksack gefallen. Sie holt es nicht mehr.
Gergely Péterfy: Der ausgestopfte Barbar
Aus dem Ungarischen von György Buda
556 Seiten
ISBN 978-3-9503906-2-9
€ 28.-
Erhältlich im gutsortierten Buchhandel
Das Buch Gergely Péterfys, Der ausgestopfte Barbar, war in den letzten Jahren einer der größten Erfolge auf dem ungarischen Buchmarkt. Im Jahr seines Erscheinens, 2015, erhielt es den angesehenen nicht staatlichen Literaturpreis Aegon, es erlebte bisher 5 Auflagen von insgesamt 15.000 Exemplaren.
Der meisterhaft durchkomponierte, mit hervorragenden historischen Kenntnissen und feinen sprachlichen Trouvaillen verfasste, bis zuletzt spannende und zum Weiterlesen verführende historische Roman stellt die Arbeit von zehn Jahren dar, der Autor hat seine Dissertation über die Gestalt Angelo Solimans geschrieben und dazu im österreichischen Staatsarchiv, im Freimaurerarchiv und in der österreichischen Nationalbibliothek Nachforschungen angestellt.
Von den beiden Hauptakteuren des Romans dürfte den österreichischen Leserinnen und Lesern die Figur des Angelo Soliman bekannt sein.
Soliman (etwa 1720-1798) war zur Zeit der Aufklärung in Wien eine berühmte Persönlichkeit. Der Freimaurer und zahlreicher Sprachen mächtige Naturwissenschafter von Format kam im Kindesalter als Sklave, gleichsam ein „exotisches Geschenk“, aus Schwarzafrika nach Europa. Dank den Erziehungstheorien seiner Zeit bekam er am Fürstenhof eine hervorragende Ausbildung und wurde zu einem brillanten Geist seiner Epoche.
Er erhielt, zunächst am Hof des Fürsten Lobkowitz, dann in Wien als Höfling des Fürsten Liechtenstein eine vielfältige Bildung und bewegte sich in Kreisen der Freimaurer. Er bereiste Europa und pflegte gute Beziehungen zu Kaiser Joseph II., zu Ignaz von Born, dem großen Mineralogen und Meister vom Stuhl der Loge Zur wahren Eintracht. Angelo war zugleich Jahrmarktsattraktion, lebende Statue der Fremdheit, ein guter Unterhalter, scharfsinniger Wissenschafter, ein echter Universalgelehrter, der sich innerhalb der Naturwissenschaften speziell in die Medizinwissenschaften vertieft hatte, und der nach seinem Tod zum Symbol der Verhöhnung der Menschlichkeit wurde.
Dass jemand von seinen eigenen Freunden ausgestopft werden muss, ist eine wahrlich absurde Situation. Soliman kannte nämlich den Doktor und auch Franz Thaller, den Hofbildhauer, er war mit ihnen befreundet. Seine Haut wurde auf eine Statue aus Holz gespannt und als namenloses Exemplar seiner „Rasse“ im Hof-Naturalien-Cabinet, dem Vorgänger des Naturhistorischen Museums, ausgestellt, bis sie in einem Feuer bei den Kämpfen des Jahres 1848 zugrunde ging.
Erzählt wird der Roman von Sophie Török, der Witwe Kazinczys, einer frei denkenden, gebildeten, nach dem Maßstab ihrer Zeit emanzipierten Frau. Vor dem ausgestopften Körper Angelos erinnert sie sich an die Erzählungen ihres Mannes aus seiner Jugend, deren Schlüsselfigur der „schwarze Freund“ gewesen ist.
Was bedeutet es, in der Welt fremd zu sein? Als der ungarische Dichter in der ungarischen Nationaltracht und der dunkelhäutige „Lakai“ in bunten Seidenkleidern über den Wiener Graben flanierten, war es sicher schwer zu entscheiden, welcher der beiden hier fremder war.
Wer war Ferenc Kazinczy, der andere Held des Romans?
Kazinczy wurde 1759 als Sohn einer adeligen Familie geboren, er betätigte sich als Literaturübersetzer, Schriftsteller, Literaturorganisator und war eine Leitfigur der ungarischen Aufklärung von großem Ansehen. Er gründete das erste ungarische Literaturjournal, übersetzte Goethe, Shakespeare, Molière, dazu antike Autoren. Er nahm Teil an der Gründung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, verfasste Reiseberichte, das Tagebuch meiner Gefangenschaft ist ein herausragendes Werk der biographischen Literatur; an die sechshundert seiner Briefe sind bekannt.
Im Prozess um Martinovics wurde er wegen seiner Verbindungen zu den Freimaurern angeklagt. Der kaiserliche Hof milderte sein Todesurteil zur Freiheitsstrafe. Kazinczy verbrachte 2.387 Tage in diversen Gefängnissen, unter anderem auch in Kufstein. Während seiner Gefängnisjahre beraubte ihn seine Familie aller seiner Habe, nur ein kleiner Landsitz blieb ihm, Széphalom, wo er mit seiner Ehefrau Gräfin Sophie Török, die seine Bestrebungen unterstützte, versuchte, das Leben eines wahren Europäers zu führen. Die Tragödie seines Lebens war, dass er in einer ignoranten, despotischen und ungerechten Gesellschaft in einem von den Türken verwüsteten Gebiet gegen Ende des 18. Jahrhunderts versuchte, nach Lichtjahren entfernten westlichen kulturellen Maßstäben zu denken und zu leben.
Er starb 1831 als ein Opfer der Choleraepidemie, die damals über ganz Nordungarn hinwegzog.
Ferenc Kazinczy kämpfte für den Aufschwung seines Landes, doch unterlag er den Vertretern einer geistlosen, banalen Gesinnung.
Er war ein tragischer Kämpfer gegen Windmühlen, der daran glaubte, mit der Erneuerung der Sprache könne auch eine neue Welt errichtet werden, und dass die Menschen durch die Erschaffung einer Sprache der Freiheit besser, selbständiger, mutiger und klüger werden. Als ehemaliger Sträfling und Freimaurer lebte er in einem Umfeld der ständigen Verdächtigungen. Manche hassten ihn wegen seines Kosmopolitismus, andere wieder wegen seines Ungarntums.
„Ich musste noch viele Erfahrungen machen, um zu lernen: Ich bin nirgends zu Hause.“
Das Buch kann gleichermaßen als das Märchen des hoffnungslosen Kampfes eines verfluchten ungarischen Genies gelesen werden, als melancholische Kritik der Aufklärung sowie als Biographie gelehrter Geister von großer Bedeutung, denen besondere Leiden und Freuden zuteilwurden. Angelo Soliman und Ferenc Kazinczy waren trotz aller ihrer Unterschiedlichkeiten nicht nur Freunde, einer spiegelte vielmehr den anderen wider. Beide lebten ihr Leben als Gefangene, Kazinczy eingekerkert in seinem Geist, Soliman, dessen Gelehrtheit größer war als die vieler seiner Zeitgenossen, in seinem Körper.
Das Buch erzählt, wie menschliche Bosheit und Dummheit auf Idealen des Geistes und der Schönheit beruhende Existenzformen vernichtet.
Gergely Péterfy
Schriftsteller, Drehbuchautor, Lektor, er diplomierte im Fach Latein-Griechisch an der ungarischen Universität der Wissenschaften ELTE.
In deutscher Sprache erschienen:
Baggersee (original: Bányató), Zsolnay Verlag 2008, aus dem Ungarischen von Ágnes Relle
Leseprobe
Ferenc Barnás: Ein anderer Tod
Aus dem Ungarischen von Eva Zador
360 Seiten
ISBN 978-3-9503906-3-6
€ 22.-
Erhältlich im gutsortierten Buchhandel
Ein ehemaliger Universitätsdozent in Budapest fällt psychisch und existenziell ins Bodenlose. Ein in Deutschland lebender Kellner entwickelt Schlafstörungen und bringt sich um. Eine ungarische Aristokratin pendelt zwischen ihren Leben als Klempnerin, als Taxifahrerin und als Schutzengel eines der bedeutendsten ungarischen Autoren des 20. Jahrhunderts. Die Geschehnisse in einem Genfer Restaurant werden rekonstruiert und zeigen ein enge Verbindung mit den blutigen Ereignissen in Bosnien. Momentaufnahmen aus dem ungarischen Alltag nach der Wende...
Die parallele Erzählung der verschiedenen Stränge weckt die Spannung, dieses literarische Geflecht – wie in einem guten Krimi – zu enträtseln. Ein anderer Tod ist der groß angelegte schriftstellerische Versuch, die verborgenen Zusammenhänge zwischen dem persönlichen Schicksal und der Zeitgeschichte aufzuzeigen. Der Roman wurde 2013 in Ungarn mit dem angesehenen Aegon-Literaturpreis als das beste Buch des Jahres ausgezeichnet.
„Ein wunderbarer ungarischer Schriftsteller – noch einer! – ist zu entdecken.“ (Jörg Plath, NZZ)
László Szilasi: Die dritte Brücke
Aus dem Ungarischen von Eva Zador
ISBN 978-3-9503906-1-2
Seiten 380
€ 22
Erhältlich im gutsortierten Buchhandel
Der einstige kanadische Emigrant, der aus Deutschland heimgekehrte Ermittler und der in Ungarn gebliebene Straßenmusiker erleben und erzählen ihr Leben in dem Roman, der einen einzigen Tag umfasst. Ort der Handlung ist das sonnige Szeged mit seinen schon fast kultischen Schauplätzen: dem Domplatz, den schön gepflasterten Straßen der Innenstadt, dem schattigen Theiß-Ufer, der alten Franziskanerkirche. Doch in der Handlung entfalten sich keineswegs heitere und glückliche Schicksale, sondern die kältesten Seiten und die Tiefen menschlichen Daseins. Die Geschichte beginnt mit einem Klassentreffen, um ihr Fenster dann für Heldentaten und Schwächen, Betrügereien, verschwiegene Ereignisse, sich in Nichts auflösende Träume, verborgene Leben, jugendliche Vergehen und Freuden zu öffnen. Menschen mittleren Alters, alte Freunde erzählen oder verschweigen, was in den vergangenen dreißig Jahren mit ihnen geschehen ist und was jetzt mit ihnen geschieht. Gutes, Schlechtes, Wahres und Gelogenes.
Aus diesem Roman erfahren wir auch, wo die Sätze zu Hause sind: in Herz, Körper, Seele, Geist. Natürlich. Doch das wichtigste Zuhause der Sätze ist das Schicksal des Menschen und seine Hinfälligkeit, wobei er doch nie Ruhe findet.
Ein mutiger, deprimierender, beunruhigender, kathartischer Roman.
László Darvasi
Krisztina Tóth: Aquarium
Aus dem Ungarischen György Buda
ISBN 978-3-9503345-9-3
Seiten 280
€ 23
Erhältlich im gutsortierten Buchhandel
Der Roman führt uns in die verdrängte Vergangenheit Ungarns zurück, in die dunkelsten Jahrzehnte unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, als das kollektive Unbewusste der heutigen Gesellschaft geprägt wurde. Diese Zeit bleibt unbewältigt, aber Krisztina Tóth zeigt uns, dass das Verdrängte beschreibbar ist; erbarmungslos sezierend, wo es die Ehrlichkeit gebietet. Ihr unbestechlicher Blick auf das menschliche Elend lässt den Leser aufgewühlt zurück. Ihre Helden leben gleichsam in einem Aquarium, die einen vegetieren im fauligen Wasser dahin, andere wollen ausbrechen, doch sie scheitern schicksalhaft. Die meisten ergeben sich ihrem Los, dem Gefangensein in einer gesellschaftlichen Schicht, in einem Land hinter dem Eisernen Vorhang. Ist der Roman pessimistisch? Hoffnungslos? Nein, aber er ist schonungslos, er nimmt den Leser ernst und bietet keine naiven Lösungen an. Allerdings finden sich in diesem gläsernen Sarg der vergebenen politischen Chancen selbst bei den dunkelsten Schemen noch Züge rührender Liebenswürdigkeit und traurigen Humors.
„Warum wolltest du diese Gänsefeder verkaufen, warum? Wozu brauchst du denn ein Geld?“, fragte sie später, als sie im Krankenhaus auf dem Gehsteig Richtung Ansteckende Abteilung gingen.
„Damit ich reich werde“, antwortete das Kind ganz natürlich. Die Tante blieb stehen und blickte Vera sehr ernst in die Augen, als wollte sie einen wichtigen, lebenslang gültigen Sachverhalt aussprechen.
„Reich?! Aber wir sind doch arm! Wer arm ist, der wird niemals reich. Niemals. Höchstens ein Armer, der Geld hat. Reich wird ein Armer nie. Merk dir das!“, sagte sie eindringlich und drückte dabei Veras Hand.
Ferenc Barnás: Der Neunte
Aus dem Ungarischen Eva Zador
ISBN 978-3-9503906-0-5
Seiten 224
€ 21
Erhältlich im gutsortierten Buchhandel
Ferenc Barnás wurde 1959 in Debrecen geboren. Er besuchte das Franziskanergymnasium in Szentendre und studierte in Debrecen, Budapest und München. Er machte sein Diplom in den Fächern Literatur und Ästhetik an der Budapester Universität ELTE, hier erhielt er 1990 auch seinen Doktortitel, seine Dissertation beschäftigte sich mit dem Weltbild Hermann Hesses. Barnás unterrichtete in verschiedenen Gymnasien mit künstlerischem Schwerpunkt sowie am Lehrstuhl für Kulturgeschichte der Budapester Universität. Von 1994 bis 2000 war er als freischaffender Schriftsteller tätig und verbrachte jährlich mehrere Monate als Straßenmusiker in Deutschland, der Schweiz, England, Frankreich, Italien und Österreich. Seit dem Jahr 2000 arbeitet er als Museumswärter.
Seine ersten beiden Romane sind im Kalligram Verlag erschienen: 1997 Az élősködő [Der Parasit] und 2000 Bagatell [Bagatelle]. Sein Roman A kilencedik [Der Neunte], erschienen 2006 im Magvető Verlag, hatte bei den Kritikern großen Erfolg, 2009 wurde er auch in englischer Sprache herausgegeben und ein Jahr später für die Auszeichnung als beste ausländische Romanübersetzung (Three Percent, USA) sowie für den internationalen Literaturpreis IMPAC Dublin nominiert. Der Roman wurde 2014 erneut vom Kalligram Verlag herausgegeben. Der vierte Roman von Ferenc Barnás mit dem Titel Másik halál [Der andere Tod] ist 2012 im Kalligram Verlag erschienen und wurde 2013 mit dem Aegon-Literaturpreis ausgezeichnet.
Ferenc Barnás erhielt 2001 den Márai-Preis und 2006 den Déry-Preis. Der Neunte ist eine erschütternde und dramatische Beschreibung des Elends
Der Erzähler ist ein neunjähriger Junge, das neunte Kind einer gläubigen katholischen Familie, die in tiefer Armut auf kaum zwanzig Quadratmetern zusammenlebt. Der Roman spielt 1968, während der kommunistischen Diktatur, einer Zeit voller Lügen und Zwang, erzählt werden die Geschehnisse von etwas mehr als einem Jahr, in dem der Junge ständig um das nötige Essen, um Kleidung und einen Schlafplatz kämpft.
Der Autor beschwört in einer eigenartig klaren, kindlichen Sprache die bedrückende Atmosphäre dieses Lebens, die grausame Öde in Familie und Schule, dieses quälende Elend voller Hunger, Entbehrung und Scham.
Der Leser wird unmittelbar hineingerissen in die Traumata dieser Kindheit, in das Schuldbewusstsein und den Alltag dieser Zeit. Die Sprachkunst des Buches verweist mit seinen kargen Worten auf die Abgründe des Unausgesprochenen.
Dieser autobiografisch inspirierte Roman wurde in der Kritik als wahres Meisterwerk gefeiert.
Der Nischen Verlag plant im Jahr 2016 auch die deutsche Veröffentlichung des Romans Der andere Tod.
Während die Kádár-Ära viele Ungarn zu Opportunisten und Komplizen machte, erzählt der neunjährige Held des Romans sein Jahr 1968, von dem Leben der zwölfköpfigen Familie und seinen Erlebnissen, an deren Ende ein eigenes Vergehen steht, in einer reinen und schonungslosen Sprache. Den Rahmen bildet der Kampf des Vaters, eines ehemaligen Offiziers, der heimlich mit Rosenkränzen handelt, und der Mutter, die mit einer verschroben katholischen Spiritualität die Familie zusammenhält: An einem großen Haus wird gebaut, bis dahin aber ziehen die Eltern ihre zehn Kinder in einer winzigen Wohnung bei Budapest auf. Außer ihnen gibt es da noch den mit Sündengrafiken hantierenden Pfarrer, die kommunistische Baubrigade, den dichtenden Redakteur einer katholischen Zeitung, die gut riechende Lehrerin und die Mitschüler, bedrohlich und verlockend. Der Neunte ist nicht nur die ergreifende Geschichte einer facettenreichen Familie in absoluter Armut, sondern auch in Gestalt des namenlosen Helden ein sinnliches Zeugnis osteuropäischer Daseinskämpfe; der Roman enthüllt das Gewebe seelischer und praktischer Gewalt mit einer verhaltenen Poesie voller Schmerz und untergründiger Sehnsucht.
"Wir sind alle in Debrecen geboren, also im Krankenhaus. Mutter hat auf die Entbindungsstation immer ein Holzkreuz mitgenommen, dabei hatte ihr Doktor Szilágyi gesagt: „Meine Liebe, das wird kein gutes Ende nehmen, schon das letzte Mal habe ich fast Schwierigkeiten bekommen.“ Mutter zuckte nur mit den Schultern, während sie im Inneren weinte, was vielleicht auch die anderen sehen konnten, Doktor Szilágyi aber ganz bestimmt, dann legte sie sich auf das Entbindungsbett, hielt das Holzkreuz ganz fest in der Hand, und wir kamen. Ich war der Neunte."
Ferenc Barnás
Marianna D. Birnbaum: Esterházy, Konrád, Spiró in Jerusalem
Aus dem Ungarischen von Peter Bognar
ISBN 978-3-95o3345-7-9
Seiten 120
€ 16.8o
Erhältlich im gutsortierten Buchhandel
Ein in mancher Hinsicht einzigartiges Buch über die Ungarn und die
Juden: “Eigentlich sind die Ungarn wie die Juden ein versprengtes Volk.
Ein Volk das immer wieder unterworfen und entrechtet wurde, aber nicht aufgab,
wie die Juden…Sie übten sich in der Kunst des Überlebens.“ (Horst Krüger)
Das ist der Hintergrund zu den scheinbar flüchtigen, kurzweiligen Eindrücken von drei herausragenden ungarischen Schriftstellern während ihres gemeinsamen kurzen Aufenthaltes in Israel. György Konrád und György Spiró sind jüdische Ungarn (ode ungarische Juden); während der gläubige Katholik Péter Esterházy aus dem ungarischen Hochadel stammt. Ihre Gespräche mit de Herausgeberin, der ungarnstämmigen Professorin der University of California, Marianna D. Birnbaum umspannen ohne Tabus Jahrhunderte und Welten, in Israel und Ungarn.
István Kerékgyártó: rückwärts
Aus dem Ungarischen Eva Zador
ISBN 978-3-9503345-8-6
Seiten 180
€ 18.80
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In jeder auch einzeln lebensfähigen Geschichte dieses Buches wird ein Lebensabschnitt eines restlos scheiternden Mannes erzählt, rückwärts, vom Ende bis zu den Anfängen noch vor seiner Geburt. Auch das Bauprinzip jeder einzelnen Episode ist rückwärts gerichtet. Keimt irgendwo Hoffnung auf, so wird der unglückselige Held Vidra immer wieder zurückgeworfen, jede Station macht ihn schwächer, er verliert Seite für Seite an Lebenskraft und Menschenwürde bis zu seinem schrecklichen Tod, erniedrigt und beleidigt. Dennoch aber baut sich im universalen Unglück eine Wärme auf, die der dargebotenen Fatalität entgegen steuert. Der Leser sucht und ergreift die Chancen auf eine mögliche Erlösung, die der Erzähler andeutet, aber konsequent und systematisch zerschlägt. So verdoppelt sich die Lektüre. Wir verfolgen im Rückwärtsgang lauter Stationen zunehmender Aussichtslosigkeit und widersprechen dem, was wir lesen, indem wir an die Chancen des Glückes glauben, die uns der Autor versagt. Vidra scheitert tragisch und gewinnt dennoch unsere Freundschaft, weil er uns trotz oder gerade wegen aller Rückschritte ans Herz zu wachsen beginnt.
“Ach du Scheiße, der ist ja nackt!”
„Tatsächlich“, der Streifenpolizist
lässt seine Taschenlampe über
den Mann auf der Bank wandern,
„und ich glaube, tot ist er auch.”
„Woher nimmst’n das?”,
fragt der Polizeiobermeister.
„Er atmet nicht.”
„Wenn wir einen Spiegel dabei
hätten, könnten wir ihm den
an den Mund halten, wenn
er beschlägt, lebt er. Wenn nicht,
Ende Gelände. Fass ihn doch mal
an die Schlagader!”
“Fass du ihn doch an, verdammt.
Das is‘n stinkender Penner”,
der Streifenpolizist macht einen
Schritt zurück.
„Er lächelt.”
„Ich finde, der fletscht die Zähne.”
„Nein, guck doch mal, der lächelt.
Was machen wir denn jetzt
mit ihm?”
István Kerékgyártó
Iván Sándor Husar in der Hölle – 1914
Aus dem Ungarischen von György Buda
ISBN 978-3-9503345-6-2
Seiten 216
€ 19,80
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Der herausragende ungarische Schriftsteller IVÁN SÁNDOR hat einen einzigartig spannenden Roman über die Höllenfahrt eines als Husar kämpfenden jungen Ungarn an allen Fronten des Ersten Weltkrieges geschrieben. Die unglaublichen Abenteuer des Maturanten Ádám Kiss in vier Jahren spielen sich ab wie Szenen in einem mitreißenden Film. Auf einer Bildungsreise nach Paris wird der fesche Reiter als französischer Soldat rekrutiert. Aus deutscher Gefangenschaft gelangt er durch einen verzweifelten Akt in die Österreichisch-Ungarische Armee. Unglaubliche Grausamkeit wird bei den Sturmangriffen an der russischen und dann an der italienischen Front zum Alltagserlebnis. Der Leser ist gefesselt und kann das Buch nicht mehr weglegen. Was vor hundert Jahren geschah, wirkt wie eine Geschichte der Gegenwart.
"Noch nie hatte sie die Wärme eines männlichen
Körpers so sehr genossen. Die Männer,
die sie in ihr Bett ließ, taten, was sie von
ihnen verlangte, zogen sich an und gingen
oder wurden von ihr weggeschickt, sie zog
es vor, danach allein zu schlafen.
Sie setzten sich auf. Draußen kam Wind auf.
„Hattest du viele Frauen?”
„Eigentlich nicht.”
„Du bist geübt.”
„Nein, du bist geübt.”
„Mit welcher war es am besten?”
Ádám Kiss erzählte seine Begegnung mit
Anna. Nach einer Stunde erwachte er. Er trat
ans Fenster. Verfolgte die Schritte der Wache.
Bevor es hell wird, habe ich eine Chance.
Er kleidete sich an. Gern hätte er die Frau
geküsst, doch durfte er sie nicht wecken.
Ihre Waffe lag auf dem Tisch. Er nahm sie an
sich. Dann schlich er hinaus. Er hatte einige
Minuten Zeit, als sich die beiden Wachen
am Tor trafen. Hinter dem Gebäude konnte
man die Planken des Zaunes zur Seite
schieben. Er rannte, erreichte den Friedhof
und all die steinernen Kreuze bildeten eine
Schutzwache für seinen Weg."
Iván Sándor
KRISZTINA TÓTH Pixel
Aus dem Ungarischen von György Buda
ISBN 978-3-9503345-5-5
Seiten 176
€ 19,80
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Krisztina Tóth, eine aufregende Vertreterin der modernen ungarischen Literatur, erzählt monströse moderne Liebesgeschichten. In jeder spielt ein anderer Körperteil die Hauptrolle: Herz, Bauch, Auge, Mund, Zunge, Kinn, Kopf …Mit wenigen Sätzen und schonungsloser Menschenkenntnis skizziert sie Charaktere, seziert sie Körper, zerstört sie Träume, schneidet aus dem Leben Pixel heraus, also Bildelemente von Personen, von der Umgebung, die sie geformt hat, der sie zu entkommen versuchen, in der sie gefangen sind. Ist es der blinde Zufall, der sie zusammengeführt hat, oder enthüllt die Autorin eine unterschwellige Verbindung zwischen den Protagonisten? Triebe und Instinkte treiben die Menschen zueinander wie eh und je. Manchmal scheint das Glück kurz aufzublühen, doch dann zerplatzt es wie eine Seifenblase. Krisztina Tóth mutet ihren Lesern eine bittere Wahrheit zu.
"In meiner Jugend studierte ich eine Zeit lang Bildhauerei. Das mag der Grund dafür sein, dass mich beim Schreiben stets die Struktur hinter den Ereignissen interessiert. Die Geschichten der Welt hängen miteinander zusammen, und ich versuche, mich an diesen Kraftlinien zu orientieren. Ich sehe etwas, schaue es mir näher an, was steckt wohl dahinter, welche Geschichte mag sich daraus entwickeln, wie könnte ich das schreiben. Die einzelnen Novellen im Pixel verhalten sich so zueinander, als müssten die Seiten eines Magischen Würfels, die einzelnen Geschichten von den Leserinnen und Lesern rekonstruiert werden
Sieht man sich ein Thema in Großaufnahme an, stellt sich das Bild durch die Vergrößerung unweigerlich auch humoristisch dar. In der Detailaufnahme wird es durch die Auflösung oft ganz unverständlich. Treten wir aber einen Schritt zurück, wird es wieder ein Ganzes. Die Worte für die Prosa stellen sich ein."
Krisztina Tóth
GYÖRGY SPIRÓ Träume und Spuren
Aus dem Ungarischen von Ernő Zeltner
ISBN 978-3-9500315-1-8
Seiten 168
€ 19,80
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György Spiró beschreibt in seinen Novellen in verblüffenden Bildern mitreißend und hellsichtig menschliche Schicksale und die Spuren des Erlebten aus dem Alltag in der ungarischen Gesellschaft. Mit Selbstironie und Sarkasmus ist dieser Schriftsteller von europäischem Rang zugleich unbestechlicher und unerbittlicher Chronist der tragikomischen Auferstehung einer scheinbar vergangenen Epoche. Vor dem Hintergrund der ungebrochenen Kraft der Intoleranz und des Hasses erzählt Spiró unvergessliche Episoden von Leidenschaft und Angst auch aus dem Leben der eigenen Familie. Er lässt das Unerträgliche aus der Geschichte der Diktaturen auch hinter der Fassade der trügerischen Normalität zwischenmenschlicher Beziehungen nie vergessen.
"Die Novelle ist eine schwierige literarische Gattung: Man muss auf wenigen Seiten eine ganze Welt darstellen, komplizierte menschliche Beziehungen knapp und präzise beschreiben, nachhaltig auf die Gefühle des Lesers einwirken, und das Ganze soll einfach, aber doch bildhaft und einfallsreich komponiert sein.
Es gibt keine zwei Novellen, die einander gleichen, jede zeigt eigene Gesetzmäßigkeiten, auch wenn sie zufällig vom selben Autor stammen.
An jeder einzelnen ist zu hämmern und zu feilen, bis diese zuvor ungeahnten Gesetzmäßigkeiten des Textes zutage kommen.
So eine Geschichte muss einen wahren Kern haben, aber zugleich doch auch ein Märchen sein: Sie soll den Erfahrungen des Lesers entsprechen, ihre Form verführerisch und originell sein, die Handlung bei aller Kürze spannend und anregend.
Eine wahrhaft komplizierte Gattung also. Auch deshalb versuche ich mich stets aufs Neue an ihr. Große Vorbilder sind mir dabei oft eine Hilfe: Es tröstet mich, wenn sich unerwartet eine blasse Erinnerung an die eine oder andere einst gelesene und seinerzeit vielleicht nicht einmal ganz verstandene Novelle einstellt und ich eine Art geistiger Verwandtschaft mit dem Verfasser empfinde, dem offenbar schon Ähnliches widerfahren ist."
György Spiró
JÚLIA LÁNGH Ein Mädchen zwischen zwei Welten
Aus dem Ungarischen von Eva Zador
ISBN 978-3-9503345-3-1
Seiten 312
€ 24,80
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Die Angst vor dem Klingeln, verstecktes Gold und Hausdurchsuchung, ins Pfandhaus wandernde rosafarbene Porzellanpelikane, Sonntagsessen mit Wiener Schnitzel und wochentags Stalinpastete, Kirchgang und Rüschenbluse, die Großmutter mit ihren verstaubten Wertvorstellungen – das ist die Welt zu Hause, und draußen? Plakate und Parolen, Arbeiterlieder am Lagerfeuer, Aufmärsche am 1. Mai, Rákosi, Stalin und Lenin im Klassenzimmer, doch auch die Erlebnisse in der Werkstatt des Puppentheaters, gegenüber des Gebäudes der Geheimpolizei, wo unliebsame Künstler arbeiten und die Erzählerin das erste Mal hört, wie jemand offen über die wichtigen Dinge des Lebens, von Politik bis Liebe, spricht.
Über die Autorin schreibt ihr erster Ehemann, György Konrád: „Seit ihrem siebzehnten Lebensjahr kenne ich sie, vor nicht allzu langer Zeit feierte sie ihren siebzigsten Geburtstag in dem großen Kreise ihrer Familie und Freunde, während unserer sechzehn Jahre andauernden Ehe, wir haben zwei Kinder, vier Enkel, hat sie mich nicht ein einziges Mal enttäuscht. Sie ist eine begabte, lebenstüchtige, humorvolle Frau mit einem guten Urteilsvermögen, ihre Kinder und Enkel, ihre Leser und einstigen Schüler, ihre Nachbarn und Freundinnen, ihre Katzen und Pflanzen, die Zuhörer ihrer improvisierten leidenschaftlichen Reden und ihre Gäste lieben sie. Junge Frauen, die ihre gerne ihre Nähe suchen, bereuen es nicht, unerschütterlich verströmt sie ihre Wärme, die auch ihre geistreichen und exakten Texte spüren lassen. Sie ist wie ein warmer Ofen.“
"Wenn aus irgendeinem Anlass, Silvester oder Olympiasieg, im Radio die Hymne erklang – im ungarischen Radio, dessen Nachrichten wir uns nie anhörten; sobald angesagt wurde, dass die Nachrichten kämen, rannte mein Vater aufgebracht hin und machte es aus, das ertrage ich nicht, das ertrage ich einfach nicht, stöhnte er –, lauschte meine Großmutter mit Tränen in den Augen und bemerkte nach für alle Zei-eiten jedes Mal, dass ihr da immer die Tränen kommen würden. Was bist du denn so eine große Ungarin, fragte meine Mutter und lachte, dein Vater ein Deutscher, deine Mutter Slowakin und dein Mann ein Pole, es gibt gar keinen in der Familie, der reiner Ungar wäre. Das Herz zählt, antwortete die alte Frau stolz. Darin stimmte ich im Übrigen, obgleich ich bei ihren Diskussionen meist meiner Mutter recht gab, mit Großmutter überein. Das war eine wichtige Botschaft. Ja, sogar ein Freispruch für meinen wiederholten Verrat, obschon das kein Verrat war, sondern die Suche nach der Wahrheit. Das Herz zählt, nicht die Herkunft."
Júlia Lángh
2012
LAJOS PARTI NAGY Der wogende Balaton
Aus dem Ungarischen von György Buda
ISBN 978-395-03345-2-4
Seiten 160
€ 19,80
Erhältlich im gutsortierten Buchhandel
Dieser Band ist eine einzigartige Visitenkarte des vielleicht größten Sprachkünstlers der zeitgenössischen ungarischen Literatur.
Der Dichter und Romancier, Dramatiker und Feuilletonist zeichnet durch die groteske Verdrehung der Gemeinplätze und Sprachspiele aus dem Milieu der Kleinbürger, sowie mit unwiderstehlichem Humor und zugleich mit beinahe chirurgischer Präzision unvergessliche menschliche Porträts und Situationen aus dem Alltag im heutigen Ungarn. Bizarre Figuren, zufällige Opfer, verspottete Helden des großen Fressens fesseln in diesen 16 Erzählungen die Leser vor dem Hintergrund von Gier und Sexualität, von Leid und Glück.
"Diese Texte standen noch nie nebeneinander. Hier sind sie zum ersten Mal vereint, und gleich auf Deutsch, in der nüchternen Lichtbrechung einer anderen Sprache. Vielleicht erscheinen sie mir eben deshalb als spezifisch ungarische Geschichten. Als Novellen aus dem Land jenseits der Leitha, aus einer Halbgegenwart und Halbvergangenheit, aus dem Land, in dem ich lebe, dessen Sprache meine Muttersprache ist, ja, noch mehr, mein Werkstoff, ist doch die Literatur für mich Wortkunst, vor allem also Sprache, Sprache, die Atmosphäre erzeugt, eigentümliche Figuren generiert, um die sich aus der Halbgegenwart und Halbvergangenheit Geschichten aufbauen – um dann neu zu beginnen."
Lajos Parti Nagy
GYÖRGY SPÍRÓ Der Verruf
Aus dem Ungarischen von Ernő Zeltner
ISBN 978-3-9503345-1-7
Seiten 324
€ 22,80
Erhältlich im gutsortierten Buchhandel
Das Regime ändert sich dann, wenn andere anfangen zu lügen, als die, denen wir uns schon angewöhnt haben.”
„Der Verruf“ ist eine spannende, unheimliche und fast kafkaeske Geschichte eines Antihelden, eines kleinen Mannes, der die entscheidenden Wochen des 56-er Ungarnaufstandes und des Rachefeldzuges im Spital verbringen musste. Ingenieur Gyula Fátray war weder ein Täter noch ein Opfer. Trotzdem gerät er mit seiner Frau in eine bedrohliche Situation, György Spiró, ein herausragender ungarischer Schriftsteller schildert am Beispiel eines menschlichen Schicksals die Zerstörung von Existenzen, die Wechselfälle von blinder Unbarmherzigkeit und schuldbewusster Komplizität, die alles beherrschende Atmosphäre von Argwohn und Verdacht.
"Ich mag forschen, Daten sammeln, in Bibliothek stöbern,
Interviews machen, unabhängig davon, ob ich ein Drama oder einen Roman schreibe, ob sie ein historisches Thema behandeln oder gegenwartsbezogen sind. Das Leben kann größere Verrücktheiten produzieren als das, was ich erfinde. Seit längerer Zeit baue ich meine Werke auf diesen Erfahrungen. Dem Entdecker und dem Erfinder sind unterschiedliche Gattungen eigen, ich gehöre zu den Entdeckern. Zugleich bin ich mir der Tatsache bewusst: in der Kunst steht und fällt alles mit der Formgebung."
György Spiró
ÁGNES ZSOLT Das rote Fahrrad
Aus dem Ungarischen von Ernő Zeltner
ISBN 978-3-9503345-0-0
Seiten160 Seiten
€ 19,80
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Die Trader AI Plattform unterstützt Sie bei jedem Schritt Ihrer Handelsreise.
DIE UNGARISCHE ANNE FRANK nannte man das 13-jährige frühreife ungarische Mädchen Éva. Ungarische Gendarmen verschleppten sie 1944 aus dem Ghetto von Nagyvárad in Siebenbürgen (heute Oradea in Rumänien). Sie wurde in Auschwitz ermordet. Ihre Mutter, die Journalistin Ágnes Zsolt hat Évas heimlich geführtes Tagebuch entdeckt und als Buch herausgegeben. „Das rote Fahrrad“ ist die erste deutsche Fassung des Tagebuches. Die Aufzeichnungen Évas, die den unbändigen Lebenswillen des Mädchens bekunden und ein ausführliches Nachwort über die Tragödie der Mutter, die von Schuldgefühlen geplagt später Selbst-mord beging –, beleuchten ein gespenstisches und bisher kaum bekanntes Kapitel mitteleuropäischer Geschichte.
"So konnten es die Polizisten leicht finden. Weil es war im Rathaus eingetragen, dass ich ein Fahrrad hatte…
Ich habe mich auf den Boden geworfen, das Hinterrad meines Fahrrads fest umklammert und geschrien, die Polizisten beschimpft, sie sollten sich schämen, einem Kind sein Fahrrad wegzunehmen...
Dieses rote Fahrrad war mein ein und alles, von Anfang an! Denn es hat mich drei Jahre lang nie im Stich gelassen, immer gut funktioniert und es gab nie etwas zu zahlen. Einer der Polizisten hat sich furchtbar aufgeregt. Das fehlte gerade noch, dass dieses närrische Judenmädchen ihm wegen dem Rad so einen Zirkus macht. Ihr Juden habt hier lange genug alles gehabt, und unsere Soldaten müssen an der Front hungern und frieren."
Éva Heyman